Ernst Rees: Fehler haben wir alle - Fehler machen wir alle!

Dazu ein Prolog:

Durch Schaden wird man klug.
Du gehst auf Heiles Pfaden,
Wenn klug du wirst durch fremden Schaden.
Beispiele stehn vor dir.
Nimm Warnung an von ihnen,
Daß du nicht selbst mögst andern als Warnungsbeispiel dienen.

Die Überschrift stimmt! Nun, ist das so schlimm? Zugegeben, es gibt sie, die schwerwiegenden, folgenreichen Fehlentscheidungen, besonders an Kreuzwegen des Lebens. Doch auch unser Alltag ist satt voll von Gegegenheiten, etwas falsch zu machen - und wir alle machen mehr oder weniger oft davon Gebrauch. Nach einer gängigen Redensart machen Kluge allerdings jeden Fehler nur einmal, dafür aber immer wieder neue, die Dummen aber immer die gleichen. Noch treffender und erfahrungsgesättigter der nächste Spruch:

"Die Klugen lernen aus ihren Fehlern,
Die Dummen haben Ausreden."

Das Fehler-machen-können ist etwas vom Menschlichsten am Menschen.

Die Tiere haben es darin leichter (aber nur in der vom Menschen noch nicht denaturierten Umwelt). Sie leben einfach ihre Antriebe aus, sinnvoll eingegrenzt von ihren Instinkten und gewitzt durch den Stand ihrer individuellen Lebenserfahrung.

Wir Menschen dagegen müssen, oft unsicher tastend, unsere relative Wahlfreiheit, unsere Lebensumstände und Handlungs- und Reaktionsmöglichkeiten gleichsam auf ihre Wertigkeit abklopfen, dabei aus Fehlern lernen, um unseren Platz, unsere Heimat für Leib und Seele zu finden.

Diese Wahlfreiheit, ein hohes Gut, ist also auch Last, Auftrag und Berufung, aus dem eigenen Leben etwas zu machen, das Glück und Erfüllung verspricht, aber auch verantwortet werden kann.

Der Kluge lernt also, zu seinen Fehlern zu stehen. Wo immer er das tut, ist er wieder eine Sprosse höher gestiegen auf der Leiter "Lebenserfahrung und Lebensmeisterung".

Der "Dumme" dagegen braucht keine Belehrung (durch Fakten), er hält sich meist schon für informiert genug.

Wo von Fehlgriffen von "lieben" Mitmenschen die Rede ist, stellt sich leicht und schnell das heimliche, aber manchmal vernehmliche Urteil:"dumm" ein. Und jeder glaubt zu wissen, was gemeint ist! Irrtum; Oft ist es wie ein Seufzer, wenn etwas schief gelaufen ist. Oft wird es hörbar, wenn uns eine Qual der Wahl plagt, wir in einer Zwickmühle stecken. Doch in einem solchen Fall hat schon ein schöpferischer Umdenkprozeß eingesetzt -das glatte Gegenteil von "dumm"!

Total daneben, doch gar nicht so selten die Einschätzung "dumm", wo wir uns ein Urteil anmaßen über Mitmenschen, deren geistige Welt oder deren Gemütslage, Probleme und Erfahrungs- hintergrund uns unzugänglich sind.

Mit dem ominösen Wörtchen ist hier auch nicht eine abwertende oder gar taktlose Äußerung über eine mangelnde Begabungshöhe bei einem Menschen angesprochen. Es ist dann meist ein Verhalten gemeint, das nicht sein sollte, nicht sein bräuchte, sondern etwas Ärgerliches, Peinliches, also ein enttäuschender Mangelzustand, wo eigentlich ein höherer Reifezustand erwartet werden durfte.

Der in diesem Sinne wahrhaft "Dumme" verleugnet seine Fehler nicht nur vor andern, sondern auch vor sich selbst. Er schiebt den schwarzen Peter immer von sich weg, auf Mitmenschen oder auf widrige Umstände. Gerade deshalb bleibt der Selbstgerechte "dumm", unerleuchtet, unbelehrbar, ein Ärgernis für Partner, Kollegen, für Untergebene, für Chefs.

Die Flucht vor Selbsterkenntnis, wohl meist aus verdrängten Minderwertigkeitskomplexen, treibt mitunter absonderliche Blüten:

Übertriebenheiten in zig Alltäglichkeiten, z.B. im Sauberkeits- und Ordnungsstreben bis zu lächerlichen Pingeligkeit, in Überbemutterung, im Gefallen- und Glänzenwollen.

Wo den sogenannten "Sekundär-tugenden" das solide Fundament der gereiften Persönlichkeit fehlt, wird oft Schein für Sein verkauft, um zu verschleiern, welche Schwächen hinter der Fassade stecken. Tragisch, wo das Bedürfnis, einen guten Eindruck zu machen, einem nimmersatten Moloch geopfert wird, der Sklaverei des

man hat ...
man trägt ...
man soll ...
man muß ...
man kann nicht ...
man darf nicht ...

- So wird natürlich viel an wahrer "Selbstverwirklichung" verspielt.

Also - nicht der Fehlermacher ist der "Dumme", sondern der, der aus seinen Fehlern nichts lernt, auch nicht aus Fehlern anderer, der also für Unerfreuliches immer schon Sündenböcke zur Hand hat. - Das seelische Gefängnis ist verriegelt! - Solange der selbstgerecht Blinde, also Dumme, den vielleicht beschämenden, aber allemal schmerzlichen Gang durch das Fegefeuer eigener Schuldeinsicht nicht wagt, solange gibt es auch keine Erlösung aus der seelischen Blindheit. Sie ist gleichsam der Schutzschild eines von zu schwachem Selbstwertgefühl gekränkten ICH, das oft mit verkehrtesten Mitteln, z.B. mit Auftrumpfen und Herabsetzen anderer, das eigene, ach so bedrohte EGO relativ aufwerten will.