Ernst Rees: "Gott erschuf den Menschen nach Seinem Bild und Gleichnis"

Dieser Satz aus dem ersten Buch der Bibel, der "Genesis", betont die einzigartige Stellung des Menschen in der ganzen irdischen Schöpfung. Er erfährt sich als Mitverantwortlicher, nicht nur für sein eigenes Leben, sondern auch für die Mitmenschen um ihn, auch für die Mitgeschöpfe aus Tier- und Pflanzenwelt und --- in unseren Tagen erst eigentlich offenbar geworden: für das ganze Biotop Erde, Klima eingeschlossen!

Das majestätische Bibelwort lässt aber auch eine andere Deutung zu:

Da wir uns Menschen als Geschöpfe mit Licht- und Schattenseiten erfahren, impliziert das Bibelwort auch die Frage: Kommt das Böse in uns auch von Dem, Der uns geschaffen hat, eben "nach Seinem Bild"? - Eine berechtigte Frage, oder nicht?

Doch gänzlich auf den Kopf gestellt scheint dies Bibelwort auch Sinn zu machen: Dann wäre Gott nur noch "Bild und Gleichnis" unserer Menschennatur - und damit auch mit allem Hell und Dunkel unserer Art behaftet, allerdings überhöht, eben ins "Göttliche". Diese Vorstellung von Gott wäre also nichts anderes als eine Antwort des Menschen auf die Rätsel und Fragwürdigkeiten unserer Existenz? Gott also letzlich nur eine Projektion menschlicher Erwartungshorizonte?

Paradebeispiel für solche Sicht der Dinge: Die Götterwelt der alten Griechen und Römer. - Gilt nun diese von der Völkerkunde belegte Erkenntnis für alle Kulturen, nur für die Schriften der Juden und Christen nicht, "weil von Gott geoffenbart"?

Auf die "Heiligen Schriften" des "Alten und des Neuen Testamentes" angewandt, tauchen da ernste Glaubwürdigkeitsprobleme auf. Denn diese Schriften enthalten neben vielem Eindrucksvollen, Wegweisenden, wohl ewig Gültigem in grandiosen Bildern, heute nicht mehr Zumutbares, ja sogar Ungeheuerliches an Rachsucht und Grausamkeit des biblischen Gottes.--

Also ein Gottesbild in Teilen der Bibel "nach Bild und Gleichnis der Menschen" jener Zeit, also voller Widersprüche nach Form und mehr noch nach Inhalt! - (Lies dazu z.B. Nathan vor David, aber auch: Gen. 3/16,17; 6/5-7; Dtn. 13/7-12; Ex. 32/26-29).

Die große Mehrheit der Christen kennt die Bibel, soweit sie sie überhaupt kennt, nur in homöopathischer Dosierung, was natürlich kein Zufall ist.

Wenn nun das "A.T." nur ein kulturhistorisches Dokument von unschätzbarem Wert wäre, entstanden in einem Hirten- und Nomadenvolk im vorderen Orient, das sich oft in seiner Existenz bedroht sah und deshalb seinen Ein-Gott-Glauben entwickelte, wäre die Geschichte dieses Volkes nur für Historiker von Belang.

Nun gilt aber dieses Dokument der Geschichte des Jüdischen Volkes auch für christliche Kirchen bis heute eben als "geoffenbartes Wort Gottes" dogmatisch erhärtet, die ganzen Texte, ohne Abstriche! Mir scheint: Da haben einige dazu- und umzulernen. Der nicht selten düster und grausam erscheinende Gott Des A.T. ist mit dem Vater-Gott, den Jesus in der Bergpredigt verkündet, unvereinbar. - Es ist sicher auch kein Zufall, dass Jesus in Gleichnissen geredet hat, wenn Er von Gott als unserem Vater und vom "Himmelreich" sprach.

Die dogmatisierte Rechthaberei unserer Kirche erscheint - nicht nur erst heute - in vielem versteinert und lebensfremd, wenn nicht lebensfeindlich in manchen Phasen ihrer zweitausendjährigen Geschichte. Sie ist vergleichbar mit der engherzig buchstabenfrommen Gesetzauslegung der Pharisäer, gegen die Jesus sich mit Entschiedenheit wandte und was Ihn letzlich an's Kreuz brachte.

Für uns, die wir als geschaffene Wesen mit all ihren Beschränkheiten, ihrer Vergänglichkeit, mit wunderbaren Talenten, aber auch mit tragischen Schwachsellen, d.h. z.B. schuldanfällig, begreifen, bleibt die Frage nach Ursprung, Sinn, Aufgabe und Ziel unserer Existenz. - Das gilt wohl für alles, was Menschenantlitz trägt.

Religiöse Bekenntnisse sind in meinen Augen allesamt eine Annäherung an das Geheimnis, den Ursprung und das Ziel unseres Lebens, wenigstens Versuche dazu. --- Es gäbe wohl überhaupt keine menschenwürdige Kultur, wenn sie ihre Wurzeln nicht im Religiösen hätte. Denn das Geschöpf, das fragen kann nach dem "WOHER, WOHIN, WARUM" muß es tun, es muß nach seinem Lebenssinn suchen, es kann nicht anders, darum ist es religiös. - Ich denke hier an das Augustinuswort: "anima est naturaliter christiana".

Die Kultur gestaltende Kraft einer Religion spiegelt sich auch in erhabenen Zeugen einer großen Vergangenheit. Doch ihre Glaubwürdigkeit liegt für uns heute eher in ihrer Wirkung auf Kultivierung, bzw. Humanisierung des Alltags. "An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen" heißt es schon in der Bibel.

Wo eine Religion Menschen hilft, eine geistige Heimat zu finden, mitzugestalten, Verantwortungen zu sehen, menschenwürdig zu leben, da hat sie einen unverlierbaren Platz. Wo aber dogmatische Enge zum Ärgernis wird, explodieren Zweifel.

Gottesglaube lebt natürlich nicht im luftleeren Raum. Er braucht sinnenhafte Zeichen und Vorstellungen. Er kann demnach vom Ungreifbaren nur gleichnishaft, also in irdischen Wortbildern und Zeichen reden. Alle Äußerungsformen von Religion bleiben also erdenschwer wie unser Alltag, also auch einseitig und bruchstückhaft, fehlerhaft, so grandios wir sie auch erfahren mögen.

Das gilt für unsere Lebensformen wie die steinernen Zeugen der Gläubigkeit von vielen Generationen, für Meisterwerke der Malerei, für formulierte Bekenntnisse wie für Gebets-und Gottesdienstformen. Es gilt für Riten wie für Brauchtum, es gilt auch für die körperloseste aller Künste, für unsterbliche Meisterwerke der Musik.