Ernst Rees: JUNG und ALT

Junge Erwachsene haben dem Alter einiges voraus: Vitalität. Wagemut, Unternehmungsgeist, das "up - to - date - sein", Belastbarkeit, verfügend über das gerade aktuelle Können und Wissen - immer? - und eben Jugend und Zukunft! - Diese Überlegenheitserlebnisse haben die Tendenz, sich dem Alter gegenüber zu verallgemeinern - und genau dann wird's gefährlich. Dann ist leicht auch schon eine Portion Blindheit im Spiel, wenn Jugend meint, erkannte Fehler der "Alten" zu meiden wäre schon Garant dafür, selbst alles besser zu machen.

Die Lebenserfahrungen der Alten werden oft mit hoffnungslos überholten Gewohnheiten, Denk- und Arbeitsweisen von gestern gleichgesetzt. Zugegeben, das Wort "Erfahrungen" ist zweischneidig. Viele "Lebenserfahrungen" alter Menschen sind oft wenig mehr als versteinerte Vorurteile und keiner neuen Einsicht mehr zugängliche Umgangsformen.

Doch deswegen generell "Erfahrungen" der Alten in die Mottenkiste des Überlebten zu werfen, ist sehr unvorsichtig. Respekt gegenüber wohlbedachtem Rat menschlicher Grenzen und Anfechtungen bewußter gewordener älterer Menschen ist schlicht ein Akt der Klugheit.-

Dürfen wir uns denn den Zugang zu menschlichen Urerfahrungen aus langem Kulturerbe versperren, aus dem wir alle leben?

Dazu gehört z.B. die Ehrfurcht gegenüber der Gottheit und Ihren uns in's Herz geschriebenen Gesetzen, das Wissen um menschliche Grenzen und Gefährdungen, das Gefühl der Verantwortung gegen Mitmenschen und Mitgeschöpfe, ja der ganzen Schöpfung, in der wir leben, mit der wir leben, von der wir leben - und - von der wir ein winziges Teilchen sind - und das nur auf kurze Zeit! -

Keinewegs soll hier aber die oft souveräne Art, mit der junge Menschen sich über tradierte, aber verhärtete, fragwürdig gewordene, ja sinnentleerte Rituale hinwegsetzen, verteufelt werden.

Diese Neigung der Jugend, so ketzerisch, stil-los und frech sie sich äußern mag, ist ein Garant dafür, daß auf neue Umstände immer wieder mit neuen Mitteln und Strategien geantwortet werden kann.

Ob die Aufgabe der Stunde "BEWAHREN" heißt oder mutig und entschlossen "UMBAUEN" oder "NEUBAUEN" verlangt oder ein TEILS -TEILS, darum sollte in jeder Brust, in jeder Familie, in jedem Betrieb, in jedem Staat immer wieder gerungen werden!

Denn fertige Lösungen hat der Schöpfer uns Menschen nicht in die Wiege gelegt.