Ernst Rees: Mauern

Jeder glaubt zu wissen, was Mauern sind. Meist stimmt das ja auch. Mauern markieren z.B. die Grenzen zwischen "mein" und "dein", zwischen Vertrautem und Fremdem. Sie geben Schutz und Geborgenheit und nehmen Angst vor dem Draußen. Mauern verwehren auch unerwünschte Einsicht, einige spezielle allerdings auch Aussicht! So viel zu Mauern aus Stein.

Es gibt jedoch auch Mauern, für gewöhnliche Augen unsichtbar, aber keineswegs durchlässiger, ich meine "Mauern" in den Köpfen der Menschen! Aus was die sind, diese heimlich - unheimlichen Mauern? - Viele aus purer Angst; z.B:

    aus Angst vor Versagen vor neuer Aufgabe,
    aus Angst zu kurz zu kommen,
    aus Angst vor Ansehensverlust,
    aus Angst, eine verheimlichte Wahrheit aufzudecken,
    aus Angst vor Strafe oder möglichem Verlust,
    aus Angst oder Scheu vor fälligen Entscheidungen,
    aus Angst um Verdienst oder Arbeitsplatz,
    aus Angst vor Zerbrechen von Beziehungen,
    aus Angst vor Krankheit und Ansteckung.

Viele dieser Mauern werden oft blitzschnell hochgezogen bei Wut über erfahrenes oder vermeintliches Unrecht, viele aus Neid und Eifersucht, andere aus Mißtrauen, Mißgunst und Rachegedanken. Besonders stabile Mauern dieser eher unheimlichen Art sind: Vorurteile, von denen Einstein einmal sagte, sie seien schwerer zu zertümmern als Atome.

Unübersehbar die Unzahl der Menschen-und Völkerschicksale, die ihre Unheilsgeschichte mit bösen Vorurteilen eingeläutet bekommen haben.

Jeder aber, der Grund hat, über derartige Mauern bei Mitmenschen zu stöhnen, sollte nicht versäumen, sich gelegentlich selbstkritisch zu fragen, ob Nahstehende nicht manchmal Grund haben - und hatten, bei ihm selbst solche Mauern auszumachen!