Ernst Rees: Vom Polaritäts- und Resonanz-gesetz

(benutzte Quellen: Ein Referat von Detlevsen, Blendinger: "Rhytmus Gottes" und Jörg Zink: "Sieh nach den Sternen".)

Jedes Ding hat zwei Seiten, sagt der Volksmund, und: Wo Licht, da auch Schatten! - Das gleiche meint der Philosoph mit dem Satz: "Alles Irdische ist vom Gesetz der Polarität beherrscht.

Polare Gegensatzpaare sind z.B.
Tag und Nacht, Sommer und Winter, heiß und kalt, trocken - naß, Ruhe - Bewegung, innen - außen, groß und klein ......

Gegensätze stoßen sich ab -- und ziehen sich an.
Das ist Alltagserfahrung. Auch jede Kunst lebt von Kontrasten zwischen Spannung und Entspannung, in der Malerei z.B. zwischen hell und dunkel, in der Musik zw. hoch und tief, zw. forte und piano, zw. Solist und Orchester,

Unser ganzes Leben kann man betrachten als ein Pulsieren zwischen Spannungspolen:
Zwischen gesund und krank, zw. wachen und schlafen, zw. Arbeit und Ruhe, zw. stark und schwach, gut und bös, jung und alt, arm und reich, klug und dumm, schön und häßlich, ein- und ausatmen, lieben und hassen, Nähe und Distanz, Wagemut und Feigheit, Geben und empfangen, begehren und verzichten, zw. Gelassenheit und Hektik, Verläßlichkeit und Opportunismus, zw. Mitmenschlichkeit und Gefühlskälte, .....

Wer könnte behaupten - er oder sie - von diesem Pulsieren zwischen den Polen noch nichts bei sich bemerkt zu haben?

Die paradoxe Einsicht drängt sich auf:
Der Mensch wird erst frei durch Unterordnung unter das Gesetz, seine geschöpflichen Grenzen und Bindungen respektierend. - Und wer Freiheit mit Beliebigkeit verwechselt, erntet Unfreiheit.

Kommt er denn nicht zu seinen reifsten Erfüllungen durch Dienst an seinen Aufgaben und Treue im Kleinen? - zu Erfolg durch Triebverzicht, bzw. Aufschub von Erfüllungen, wo sie der erkannten Aufgabe widersprechen, bzw. das Recht von Mitmenschen verletzen? - zu Freundschaft eher über Verläßlichkeit und Festigkeit als über Willfährigkeit und Kumpanei?

Umgekehrt gilt doch auch:
Je weniger gesteuert durch Einsicht und Verantwortungssinn ein Mensch "frei" seinen emotionalen Trieb-und Lustzielen zustrebt, desto mehr verstrickt er sich heillos in Zwänge, desto mehr wird er zum Sklaven seiner Triebnatur und damit zum Scheitern seines Lebens verurteilt.

Wer egozentrisch unerleuchtet nur die eigene Sicht der Dinge für die ganze Wahrheit hält, und nur die eigenen Wunscherfüllungen für unverzichtbar, der wird gegen die Widrigkeit der Dinge in seiner Umwelt wie mit dem Kopf gegen eine Wand rennen. - Die Lösung? - sehr oft: loslassen! - Schon Cervantes schilderte in seinem, "Don Quijote", wie "der Ritter von der traurigen Gestalt" vergebens gegen Windmühlenflügel ankämpfte.

Neben dem Begreifen der polaren Natur menschlichen Wahrnehmens (für wahr nehmens) kann uns auch die Betrachtung der Resonanzgesetze helfen, uns und die Welt um uns besser zu verstehen.

Resonanz gibt es bekanntlich dann, wenn die Schwingung eines Erregers vom Resonanzraum beantwortet werden kann (im Konzertsaal z.B.), d.h. wenn ein Körper (Fenster oder Brücke) mit seiner Eigenfrequenz erregt wird.

Resonanz gibt es nicht nur in Physik und Chemie, es gibt sie auch in seelischen Bereichen. Wir nehmen bei weitem nicht alles wahr, was die Oberfläche unserer Sinnesantennen berührt. Wir würden auch das Chaos der Eindrücke nicht ordnen und auswerten können.

Wir nehmen in sinnvoller Beschränkung auf das für uns lebenswichtig Erscheinende nur wahr, wofür wir eine Resonanzfähigkeit entwickelt haben.

Carl Amery sagte dazu: "Der Mensch lebt und stirbt in dem, was er sieht --- er sieht aber nur, was er denkt!" -- Kann er aber etwas denken, bedenken, was ihn vorher nicht gefühlsmäßig getroffen, erregt hat, sei es beglückend, sei es anregend, sei es angsterzeugend? -- Intuitiv erfassen wir schneller, tiefer, wirkmächtiger, was uns angeht. Dass daraus verantwortbares Handeln wird, werden kann, werden soll, das unterscheidet uns von den nächsten Verwandten im Tierreich.

Das Gottesgeschenk "Vernunft" hat eben auch zwei Seiten: Auszeichnung, aber auch Auftrag!

Auch Jörg Zink hat zu "Resonanz" Bedenkenswertes zu sagen: "Die Umwelt, die wir erfahren oder erleiden ( oder beglückt wahrnehmen) spiegelt nichts weiter als unsere Erlebnisfähigkeit. Wenn uns ein Schicksal trifft, kommt es nicht ... durch Zufall. Alles, was um dich geschieht, spiegelt dich selbst ... Du bist, was du liebst, du bist, was du hassest, du bist, was du schaffst - auch alles, was du nicht wahr haben willst, was du verdrängst".

Jeder Mensch lebt eben in seiner Welt, in seiner subjektiv eingefärbten Auswahlwelt. DIe objektive Welt hat er nie gesehen und - er wird sie nie sehen. Für z.B. musikalisch oder sprachlich Unbedarfte existieren entsprechende Meisterwerke nicht. Sie sind für ihn vielleicht nur Schall und Wortsalat.

Erhellend auch ein Blick auf "Resonanzen" in der Tier- und Planzenwelt: Die Flügel der Vögel sind die "Antwort" auf die physikalischen Eigenschaften der Luft; Körperform und Flossen der Fische und Meeressäuger die "Antwort" auf ihr Lebenselement Wasser. Ein fascinierendes Hobby, den Entsprechungen zwischen Tieren und ihren Futterpflanzen, bzw. ihren Beutetieren nachzuspüren. Ein Beispiel für tausend Mögliche: Das Zusammenspiel zwischen Bienen und ihren Nektarquellen, auch in Bezug auf den jeweiligen Körperbau.

Die Selbstbeschränkung auf das für das eigene Leben existenziell Wichtige bei der Wahrnehmung der Außenwelt ist auch für uns Menschen höchst notwendig und sinnvoll im Interesse des ökonomischen Einsatzes der verfügbaren Lebenskräfte. Sie hat allerdings eine Kehrseite: Die Verwechslung der tatsächlich wahrgenommenen "Auswahlwelt", bzw. deren Gleichsetzung mit der ganzen, der objektiven Welt. - Sie ist Ursache von unzählbaren Mißverständnissen und ihren oft grausligen Folgen.

Kein Mangel an Streitgründen, da jeder Betroffene aus seiner eigenen, subjektiven Weltsicht heraus reagiert. Die Rolle des "Sündenbocks" haben immer andere zu übernehmen.

Viele Engen des Bewußtseins sind schicksalhaft vorgezeichnet durch z.B. soziale und familiäre Vorentscheidungen. Gleichwohl hängt viel an dem, was der Einzelne mit seinem guten wie belastendem Erbe gemacht hat und macht. --- (Von Selbsterziehung, bzw. dem Mangel daran ist hier also die Rede.)

Erleb-und erfahrbar ist das Wachsen des eigenen Horizontes mit wachsender Reife. So kann z.B. die zweite Lektüre des gleichen Buches nach Jahren zu einem unerwarteten "Aha" - erlebnis werden. Im positiven Sinne erfuhr ich das bei großer Dichtung. Enttäuschend bei einem Aufklärungsbuch "für die reifende Jugend".

Eigenresonanz auf Ideen, Menschen, Situationen ist also nur da möglich, wo wir eine Affinität, eine natürliche oder im Reifeprozess gewachsene Ansprechbarkeit mitbringen. Art, Umfang und Qualität dieser Sensibilität entscheidet über die eigene Entwicklungshöhe, aber auch über die Einschätzung unserer Person durch unsere menschliche Umwelt. -- Für die Mängel in dieser Ansprechbarkeit haben Betroffene selbst kein Organ. Daher auch das Wort: "Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz" oder - "Arroganz und Verblendung sind Geschwister. Deswegen sind Wissende bescheiden - und Eigenlob gilt nichts.

Seit C.G.Jung wissen wir es besser: unser Tagesbewußtsein hat auch eine dunkle Kehrseite: Unsern "Schatten!"- Je mehr wir ihn (weil peinlich) verdrängen, desto mehr bedrängt er uns. Denn Projektion von Schuld auf unser menschliches Umfeld versperrt uns den Zugang zu Selbsterkenntnis und damit zu Reue, Wandlung, Emtwicklung und Reifung. - Dahinter verbirgt sich die Hauptquelle von Mißverständnissen, von Feindschaften, Neid und Leid, Streit, Not und Krieg. Was uns in der Umwelt herausfordert, allzuoft sind es Spiegelbilder unseres eigenen Schattens. - Die jedem gestellte Aufgabe demnach:

Bewußtsein erweitern!

Die Grenzpfähle des eigenen "ICH"-gartens immer weiter stecken! Die angstmachende Enge des eigenen Bewußtseins sprengen, die Außenwelt integrieren, das "NICHT-ICH" immer kleiner werden lassen! Solange es das eifersüchtige "ICH" gibt, gibt es auch den Zaun und die Angst vor dem Außen.

"Der Weg zu Erleuchtung, zu Weisheit und Gotteserfahrung führt notwendig durch erschreckende Finsternisse, durch dunkle Schluchten, 'abgestiegen zur Hölle', durch das Gewahrwerden eigener Irrwege und Armseligkeit, eigener Schuld und Hinfälligkeit."

Also Schuldzuweisungen, d.h. die Flucht in Projektionen helfen nicht. - Der Ausweg; Übernahme der Verantwortung für das EIGENE Leben! - Das Stehen zu eigener Schuld nur macht frei, auch frei von Angst.