Ernst Rees: Vom Risiko des Menschseins

Als "Säugetiere" sind wir Menschen eingebunden in unsere Körperlichkeit und den damit gegebenen Zwangsläufigkeiten in Anpassung an vorgefundene, oft widrige Lebensbedingungen.Triebe und teils auch noch Instinkte sorgen im Zusammenwirken mit der Vernunftbegabung dafür, daß existenziell Unverzichtbares zu seinem "Recht" kommt.

Bedürfnisdruck in Gestalt von Hunger, Durst, Schutz vor Kälte und Hitze, Spieltrieb und Gestaltungslust, Bindungstrieb und Partnersuche, Angst vor so vielem, das Gesundleit und Leben bedroht, ... soll das befriedigende, lösende, entspannende, oft auch rettende Verhalten auslösen, wenigstens anregen.

Damit Lebenstriebe also möglichst zuverlässig und rechtzeitig ihr Ziel, d.h. das Ende des Bedürfnisdrucks erreichen, hilft die Natur mit vielen Tricks nach:

  • Durch die Funktionslust bei Kindern
  • Durch das Neugierverhalten von jung und alt
  • Durch das soziale Bindungsstreben und nach einem "Daheim"
  • Durch den Nachahmungstrieb, der Kinder im Spiel lernen läßt.
  • Durch das Streben nach höherem Rang, begleitet von Machtstreben und Konkurrenzverhalten, vom Spielzimmer bis in die Chefetagen.
  • Durch den Pflegetrieb der Eltern.
  • Durch das erotisch-sexuelle Streben nach glückverheißender Zweisamkeit.
    (Es zeichnet sich aus durch das hohe Gefälle zwischen dem gefühls- und antriebsstarken Drängen nach Erfüllung und der wohligen Entspannung danach. - Ein Hinweis auf die überragende existenzielle Bedeutung dieser Naturkraft.)

Während bei den Säugetieren Instinkte zuverlässig dafür sorgen, daß die Triebe den Bereich des Lebenförderlichen nicht durchbrechen, werden Lebenstriebe beim Menschen durch das vernunftbedingte Entfallen der starren Instinktschranken zum ethisch-moralischen Problem.

Denn die wachsende Einsicht in Zusammenhänge und die Übersicht auf die Folgen eigenen Tuns und Lassens, oft begleitet und erhellt vom Gefühl für das gerade Angemessene, bedeutet unabweisbar entsprechende Verantwortung.

Die relative Freiheit, wählen zu können im Geschenkkorb der sich anbietenden Möglichkeiten hat eben auch ihre Kehrseite! Der Adelsbrief "Willensfreiheit" mit ihren Grenzen ist eben nicht nur Geschenk, er ist mehr noch AUFTRAG - und oft auch schwere Last. Denn er schließt die Gefahr des Scheiterns ein, des Schuldigwerdens. Und schuldig wird der Mensch da, wo und wann er seine natürlichen Strebungen verabsolutiert, also loslöst von seinen einsichtigen Verantwortlichkeiten, nur seinen eigenen Gelüsten frönt, ohne Rücksicht auf Lebensrechte und Bedürfnisse anderer.

Erfüllung und wahre "Selbstverwirklichung" gelingt dem "Wanderer zwischen zwei Welten" jedoch nie durch unerleuchtete ICH-haftigkeit, aber auch nicht durch Verleugnung oder gar Verteufelung seiner tierischen Triebnatur. Ihre Überprägung durch seine Geistnatur, das - und nichts weniger - ist die uns Menschen vom Schöpfer zugewiesene Aufgabe!

Die geistgeprägte, also die über die Tiernatur teils hinausgewachsene Menschennatur hat eine folgenschwere neue Qualität: Noch Tier mit allen Trieben und Bedürfnissen sind wir als Menschen gerufen, aber auch befähigt, nach Entfallen der zwingenden Instinktschranken die Verantwortung für unser Leben selbst zu übernehmen.

Hier erlaube ich mir einen scheinbar banalen, aber einleuchtenden Vergleich für eine dramatische Wesensverwandlung, bzw. Wertsteigerung: Betrachten wir unsere Geldscheine, die fast täglich durch unsere Hände gehen. Ihr Papierwert ist ein Nichts! Allein die Prägung schafft ihre zauberhafte Werthaftigkeit.

Lassen auch wir uns verzaubern von dem Auftrag, ein wahrer Mensch zu werden!