BUND Kreis Höxter

Traute Kirsch – ein etwas anderer Nachruf

Zum Gedenken an unsere langjährige Vorsitzende und Sprecherin der BUND Kreisguppe Höxter

Am 29. Juli 2005 starb Traute Kirsch aus Beverungen. Mit Traute verlieren wir eine engagierte Freundin der Erde, Kämpferin für Umwelt, Menschenrechte und Demokratie. "Sie war uns oft ein Vorbild, weil sie gegenüber ihrer Mitwelt niemals gleichgültig war, auch die scheinbar kleinen Dinge wichtig nahm und einen wachen Blick für Entwicklungen hatte. Ihre Kraft und ihre Klugheit werden uns fehlen." Mit diesen Worten gedachte der BUND-Landesverband NW, BUND-Regionalgruppe Detmold und die BUND-Kreisgruppe Höxter Anfang August 2005 in der Tageszeitung ihrer aktiven Mitstreiterin Traute.


Heute möchte ich diese Sätze mit Substanz füllen. Als Traute Hoffmann 1930 in Berlin geboren, floh sie mit ihren Eltern und ihrer Schwester Gisela 1942 nach Bad Karlshafen. Sie besuchte das Gymnasium in Hofgeismar und studierte Wirtschaftswissenschaften in Heidelberg, London und Köln, wo sie ihren Mann Ernst Günter kennen lernte. Aus dieser Ehe gingen zwei Töchter und ein Sohn hervor. Mittlerweile haben sich sieben Enkelkinder eingestellt.

1956 übernahm Sie mit ihrem Mann die Geschäftsleitung der Firma HERLAG in Lauenförde. Zu dieser Zeit begann auch ihr Engagement im ehrenamtlichen und sozialen Bereich. Mehrere Jahre stand sie dem DRK in Beverungen als Ortsvorsitzende zur Seite. Politisch setzte sie sich zunächst für die FDP ein, deren Kreisvorsitzende sie mehrere Jahre war. Allerdings zu einer Zeit, als diese Partei noch von Persönlichkeiten wie Karl-Hermann Flach geprägt wurde. Sie brach mit der FDP als diese 1981 die sozial-liberale Koalition aufkündigte und mit der CDU regierte. Von 1989 bis 1996 gehörte sie dem Rat der Stadt Beverungen an und engagierte sich für DIE GRÜNEN in verschiedenen Ausschüssen. Dieser Partei wandte sie den Rücken zu als sich abzeichnete, dass Geltungssucht und Machtstreben mehr zählte als Inhalte.

Traute war Ende der 70er Jahre eine der Mitbegründer der Anti-AKW-Bewegung in Deutschland, aus der später DIE GRÜNEN hervorgingen. Vor Ort gründete sie die Bürgerinitiative „Umweltschutz Weserbergland“. Ihre zentrale Botschaft war schon damals, dass das „Deutschland des Grundgesetztes“ seine Bevölkerung keinen unbeherrschbaren Risiken aussetzen darf. Bis heute haben viele Trautes Einsatz in diese Richtung nicht verstanden. Unendliche Mühe hat sie darauf verwandt, die unseligen „Schweißnahtdiskussionen“ am Containment der Atomreaktoren in den 80er Jahren ad Absurdum zu führen, was ihr auch weitestgehend gelungen ist.

Dann passierte folgendes: Der Reaktor in Tschernobyl geriet am 26. April 1986 außer Kontrolle. Es trat ein, was Traute jahrelang argumentativ in die Köpfe ihrer Mitstreiter und Politiker bringen wollte: die Nutzung der Atomenergie ist unbeherrschbar. Wir gründeten die UNRAST „Unser Recht auf Stilllegung“, als Arbeitsgruppe der BI Umweltschutz Weserbergland, hatten Erfolg insofern, dass das Zwischenlager am Atomkraftwerk Würgassen nicht eingerichtet wurde.


Trautes Kampf gegen die Nutzung der Atomkraft galt nicht nur der Abwehr einer gefährlichen, nicht beherrschbaren Technik, sondern galt in erster Linie dem Erhalt der Demokratie. Für sie bedeutete die Atomkraft der Beginn der Zerstörung unserer demokratischen Staatsgrundlagen. Sie hatte die Befürchtung, dass eine Politik, die Wirtschaftsunternehmen das Eingehen unbeherrschbarer Risiken gestattet und sich dabei skrupellos über die Grundrechte der Bürger hinwegsetzt, zwangsläufig zur Beseitigung demokratischer Prinzipien und des Demokratieverständnisses in der Gesellschaft und damit zur Zerstörung der Demokratie führen muss.

Mit der Novellierung des Atomgesetztes und dem so genannten „Atomausstiegsgesetz“ haben sich ihre Befürchtungen leider bewahrheitet. Heute ist es gängige Kontroll- und Genehmigungspraxis, dass das Eingehen von Risiken in der Verantwortung der Wirtschaftsunternehmen liegt. Sowohl bei Genehmigungserteilungen als auch bei der Kontrollaufsicht spielen Risiken keine Rolle mehr. Das Vorsorgeprinzip, das nach 1945 das Verwaltungsgeschehen prägte und auch in der Daseinsfürsorge der Gemeinden seinen Niederschlag gefunden hatte, wurde ersetzt durch das Prinzip des uneingeschränkten Wirtschaftsvorranges.

Am Beispiel der Atomkraftnutzung zeigte Traute immer wieder auf wie der Paradigmenwechsel, von dem naiven Glauben getragen: man werde die atomaren Risiken schon beherrschen, bis zur gesetzlichen Verankerung des Rechtsanspruches der Atomfirmen auf das Eingehen von Risiken, von der rot-grünen Koalition vollzogen wurde: „Politiker, die sich ohne wenn und aber dem Wirtschaftsvorrang verschrieben haben, sind zwangsläufig nicht mehr in der Lage, den demokratischen Prinzipien von der Unantastbarkeit der Würde des Menschen, wie es im Artikel 1 des Grundgesetztes seinen Niederschlag fand, zu würdigen, sondern müssen es mit Füßen treten.“

30 Jahre hat sie sich hartnäckig dagegen gewehrt, das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland nur als lästiges Stück Papier zu betrachten. Die Beseitigung des Sozialstaates durch die Hartz-Gesetze und die Gesundheitsreform machen dramatisch klar, welche positiven, demokratischen Prinzipien in unserem Staat vorhanden waren.


Im Bereich der Umwelt hat diese Missachtung der Würde des Menschen schleichend stattgefunden. Mit Hartz IV wird auf brutalste Weise klar gestellt: wer arbeitslos ist, hat keinen Anspruch auf einen unserem Wohlfahrtsstaat angemessenen Lebensunterhalt mehr. Ein Grund mehr für Traute sich im Widerstand gegen die Hartz-Gesetzgebung zu engagieren. So organisierte sie 2004 die Montags-Demos und Kundgebungen auf dem Marktplatz in Höxter und gründete das „Bündnis 3-Ländereck für soziale Gerechtigkeit“.

Früher als andere im BUND hat sie auch die Gefahr gesehen und benannt, dass quasi anonyme, nicht direkt demokratisch legitimierte Institutionen legislative Gewalt über Bürgerinnen und Bürger ausüben und damit das Parlament und das Grundgesetz aushebeln. Festzumachen am Beispiel der Weltorganisation WTO oder Vertragswerken auf EU-Ebene, die alle zur Einschränkung fundamentaler Rechte des Souveräns führen – zugunsten der Freiheit von Wirtschaftstreibenden. Bedenklich ist besonders der Umstand, dass unsere Abgeordneten mitunter nicht wissen über was sie abstimmen und schon gar nicht, was von Spitzenbeamten des Wirtschaftsministeriums bzw. des Kanzleramtes „geregelt„ wird.


Auf Bundes- und Landesebene engagierte Traute sich im BUND-AK Atom und AK Energie. Vorstandsarbeit im Landesverband war auch eine ihrer Aufgaben. Frühzeitig gründete sie den AK Deregulierung. Auch weil viele in den Reihen des BUND bis heute nicht begriffen haben, was da unter der Fahne „Bürokratie-Abbau“ durch Deutschland segelt, geht der Prozess unvermindert weiter: Unter dem verharmlosenden Stichwort „Modellregion OWL“ wird derzeit in Ostwestfalen-Lippe versucht, die Schutzrechte des Bürgers scheibchenweise auf den Stand einer „Bananenrepublik“ herunterzuschrauben, mit dem Ziel, diese „Modellregion“ auf ganz Deutschland auszudehnen.

Trautes Visionen bedachten auch früher als andere Umweltschützer die Privatisierungswelle der Kommunen, so wird in fast allen Kommunen nicht nur das „Tafelsilber“ verramscht, sondern vor allem die Daseinsvorsorge mehr und mehr aus der kommunalen Verantwortung entlassen – bis hin zu den grotesken Auswüchsen des Corss- Border-Leasing.


Auf Außenstehende wirkte sie dominant und uneinsichtig, unbeugsam und unbequem. Ja es stimmt, ihre Geduld mit Andersdenkenden, auch aus den eigenen Reihen, war nicht unendlich, aber dies wurde um ein Vielfaches aufgewogen durch die Brillanz ihrer sich manchmal als beängstigend prophetisch herausstellenden Analysen. Gelegentlich wirkte sie, was Außenstehenden verborgen blieb, verzweifelt - ja mutlos, wenn sie mal wieder mit kalter emotionsloser Intellektualität von fremdgesteuerten Funktionären abgekanzelt worden war.

Traute ging es nie um ihre Person, es ging ihr immer um die Inhalte. Da war es nur eine Frage der Zeit wann sie den Courage-Preis erhält, der von der Anne-Solbach-Freise- Stiftung jedes Jahr vergeben wird. Traute hat in all den Gremien und Gruppierungen stets Außenseiterpositonen vertreten, die viel Mut und Kraft von ihr verlangt haben. In ihrer letzten Rede am 13. November 2004 anlässlich der Verleihung des Courage-Preises in der Münchhausenstadt Bodenwerder, hat uns Traute ihr Vermächtnis hinterlassen:

"Jeglicher Widerstand, in welchen Bereichen auch immer, muss sich darauf konzentrieren, dass der Mensch in seiner Würde wieder die Achtung erhält, die vom Grundgesetz verlangt wird. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass Widerstand erfolgreich ist und demokratisches Denken und nicht Wirtschaftsvorrang unsere Gesellschaft prägen wird. Dazu gehört viel Mut!"

Als ihre langjährige Freundin und Kampfgefährtin habe ich viele Facetten ihrer Persönlichkeit erlebt, bin durch dick und dünn mit ihr gegangen im Laufe der vergangenen 30 Jahren. Ich bin dankbar für ihre Liebe, Aufrichtigkeit und ihr uneingeschränktes Vertrauen, das sie mir und meiner Familie entgegenbrachte. Von Traute habe ich kämpfen gelernt und einzustehen für meine Rechte. Der so fruchtbare Gedankenaustausch zwischen uns beiden fehlt mir ebenso wie ihre Visionen und die glücklichen Momente des Lachens, die unsere beiden Seelen verbunden haben.

Abschließen möchte ich meinen Nachruf auf Traute mit den Zeilen ihrer Familie in der Traueranzeige:

Du hast wenig an dich,
aber viel für andere gedacht und getan!

Wir vermissen dich sehr.

Traute starb am 29. Juli 2005 mit 74 Jahren in der Habichtwald-Klinik in Kassel. Am 14. September 2005 wäre sie 75 Jahre alt geworden.

Ingeborg-Angela Gockeln - November 2005


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