Ortsverband Königstein-Glashütten

Hans-Jürgen W. ist wie gelähmt. Weil er sich nicht bewegt, bleibt auch der Vogel zunächst sitzen.
Mit seinen großen runden rotgelben Augen mustert er die Gestalt neben sich und blickt in die Runde. Dann scheint ihm die Nachbarschaft nicht ganz geheuer, er breitet seine gewaltigen Flügel zu einer Spanne von fast 170 Zentimetern aus und streicht lautlos, wie er gekommen ist, davon. Die Wildschweine haben sich davon nicht irritieren lassen, doch nach Schießen ist Hans-Jürgen W. an diesem Abend nicht mehr zumute. Er will die erste Begegnung seines Lebens mit einem Uhu in Ruhe verarbeiten - denn da hat eben die größte aller Eulen für ein paar Augenblicke auf Armeslänge neben ihm gesessen.

Bestand der Großeule verzehnfacht

Hätte Hans-Jürgen W. vor 40 Jahren von seinem Erlebnis in einem deutschen Jagdrevier berichtet, hätte man ihn des Jägerlateins bezichtigt. Damals gab es in ganz Deutschland keine 100 freilebende Uhupaare mehr, um die 50 in der Bundesrepublik und etwa 30 in der DDR. Da wäre es einem Wunder gleichgekommen, hätte ein Uhu neben einem ansitzenden Jäger aufgeblockt. Heute geschieht das gelegentlich. Und mehr als einmal schon hat ein Uhupaar einen im Winter nicht benutzten Hochsitz zu seinem Brutplatz gewählt und im Frühjahr für eine Überraschung gesorgt, wenn die Jagdkanzel wieder in Betrieb genommen werden sollte. Da saßen dann zwei bis vier aufgeplusterte grauflaumige Uhuküken auf dem Holzboden und knackten aufgeregt mit ihren Schnäbeln. Solche und andere Begegnungen wären kaum möglich, hätte sich der Bestand der Großeule nicht seit etwa 1965 mit intensiver menschlicher Hilfe erholt und mehr als verzehnfacht.

Als am Freitag der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) auf einer Pressekonferenz in Berlin auch im Namen des Landesbundes für Vogelschutz in Bayern (LBV) den Uhu zum "Vogel des Jahres 2005" erklärte und damit erstmals nach fast 30 Jahren wieder eine Eule in das Licht der Öffentlichkeit rückte (1971 begann die erfolgreiche Aktion mit dem Wanderfalken, 1977 folgte die Schleiereule), konnten die Vogelschützer eine beachtliche Bilanz vorlegen. Mit gut 800 Revierpaaren wird der Bestand von "Bubo bubo" in Deutschland heute angegeben. Manche Kenner der Uhuszene veranschlagen gar bis zu 900 Paare. Die jüngste Rote Liste der Brutvögel Deutschlands mit dem Stand von 1999 ging noch von 660 bis 780 Paaren aus. Die Tendenz ist also positiv - mit erheblichen Schwankungen von Jahr zu Jahr.

Schutz- und Aufklärungsprogramm zugunsten der Großeulen

Eine solche Kehrtwendung im Bestandstrend hätten die Großeulen aus eigener Kraft nicht geschafft. Dank verschiedener Initiativen von Naturschützern und Jägern Anfang der sechziger Jahre, aus der neben anderen Organisationen die "Aktion zur Wiedereinbürgerung des Uhu" (AZWU) in Nordrhein-Westfalen und die "Aktion Wanderfalken- und Uhuschutz" (AWU) in Hessen entstanden sind, wurden etwa zwanzig Jahre lang Uhus in Gefangenschaft gezüchtet und in verschiedenen Bundesländern ausgewildert. So schufen engagierte Menschen mit viel Geld und Zeit die Basis für neue Wildpopulationen. Dabei konzentrierten sie ihre Anstrengungen zunächst auf die Gebiete, in denen der Uhu früher heimisch gewesen, aber nicht zuletzt durch intensive Bejagung ausgerottet worden war.

Mit der überwachten Wiederansiedlung ging ein Schutz- und Aufklärungsprogramm zugunsten der Großeulen einher. Heute gibt es in allen Bundesländern wieder freilebende Uhus, die meisten in Bayern mit etwa 230 Paaren. Aber auch in Schleswig-Holstein, wo jahrzehntelang keine Uhus mehr gesehen worden waren, hat es der "Landesverband Eulenschutz" in den vergangenen 30 Jahren geschafft, daß heute wieder etwa 100 Paare zwischen Geest und Marsch nachts in ihren Revieren unterwegs sind. Etwa ebenso viele Uhupaare leben alleine in der Eifel. Seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre werden keine Uhus mehr ausgewildert. Die AZWU hat deren Geschäftsführer Wilhelm Bergerhausen in die "Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen" umgewandelt, denn das Betätigungsfeld ist größer geworden. So ist es auch anderen Uhu-Initiativen ergangen. Manche kleinere Eulenart braucht inzwischen mehr Hilfe.

Viele Gefahren

Doch der Uhu ist noch lange nicht auf der sicheren Seite. Nicht nur wegen unterschiedlichen Bruterfolgs gibt es immer wieder einen Einbruch des Bestands. In einem trockenen und warmen Frühjahr wie 2003 werden viele Junge groß, da die Altvögel dann genug Beute für ihren Nachwuchs finden. Bei Kälte und Nässe indes kommt neben mangelnder Nahrung die Gefahr hinzu, daß die Küken erfrieren. Nach dem Ausfliegen sorgt die Umstellung von der Fütterung durch die Eltern auf die Selbstversorgung mit Beute für eine besonders kritische Zeit. Nicht wenige junge Vögel schaffen es nicht, genügend Beute zu fangen, und verhungern. Dabei ist die Speisenkarte vielseitig und umfaßt unter anderem Maikäfer, Frösche, Schlangen, Fische, Igel, Ratten, Mäuse, Fledermäuse, Eichhörnchen, Jungfüchse, Hasen, Kaninchen, Hühner, Enten und sogar Greifvögel.

Auch das Fliegenlernen in der vom Menschen weitgehend bebauten Landschaft ist für die jungen Uhus mit vielen Gefahren verbunden. Viele sterben durch Stromschlag an elektrischen Leitungen, oder sie fliegen gegen Koppelzäune und Forstgatter mit Drahtgeflecht. Dabei brechen sie sich Genick oder Flügel. Opfer gibt es auch zunehmend an Windkraftanlagen. Junge wie alte Uhus enden durch einen Zusammenstoß mit einem Auto oder einem Zug, wenn sie von der Straße oder am Bahndamm überfahrene Tiere aufnehmen wollen. Mit der Zunahme von Straßen, Autobahnen und Schienenwegen wächst die Zahl der Verkehrsopfer.

Nischen in Felsabhängen, Steinbrüche und Wände von Kiesgruben als Brutplätze

Unterschiedlich reagieren Uhus auf Störungen am Brutplatz und während der Paarungszeit. Nach einer Herbstbalz beginnen die bis zu gut 70 Zentimeter hohen, hell und dunkelbraun getupften, gestreiften und gefleckten Vögel abermals Ende Januar, Anfang Februar mit Einbruch der Dunkelheit laut zu rufen. Das im Vergleich zum Weibchen bis zu einem Drittel kleinere Männchen läßt seine Stimme in der Regel häufiger erklingen. In einer windstillen Nacht ist der mit "u-hu" oder "bu-buu" umschriebene Gesang, dem die "Adlereule" ihren deutschen wie auch ihren wissenschaftlichen Namen verdankt, kilometerweit zu hören. Mitunter herrschen noch winterliche Temperaturen, wenn das erste der zwei bis vier weißen runden recht kleinen Eier in der Nistmulde liegt.

Das kann schon Ende Januar sein, doch die meisten Uhus beginnen im März mit der Eiablage. Bei der Wahl des Brutplatzes sind ihnen Nischen in Felsabhängen, Steinbrüchen und in Wänden von Kiesgruben am liebsten. Aber unter den alleine brütenden Weibchen gibt es auch solche, die sich mit einer flachen Mulde auf dem Waldboden zufriedengeben. Andere beziehen einen verlassenen Bussardhorst in einer Baumkrone oder einen Kirchturm, wie jahrelang in Lübeck geschehen. Gerne siedelt sich ein Paar in der Nähe einer Mülldeponie an, denn dort leben die als Beute hochgeschätzten Ratten. Kommen ihnen Menschen während der Brut zu nahe, kann es sein, daß manche Weibchen das Nest sofort aufgeben. Andere lassen sich nicht vom Bagger eines Kiesabbauunternehmens stören, der in der Nähe mit Getöse und Staub seine Arbeit verrichtet. Plötzlich am Nistplatz auftauchende Menschen wie Kletterer in einer Brutwand richten in der Regel mehr Schaden an als wiederkehrende mechanische Störungen, an die sich die Vögel schon vor dem Brutbeginn gewöhnt haben.

Uhus als Lockvögel

Zu einem großen Problem ist in den vergangenen Jahren das Verfüllen von ehemaligen Steinbrüchen mit Bauschutt oder Aushub vom Straßen- und Schienenwegebau geworden. In Steinbrüchen brüten die Uhus mit Vorliebe, aber selten sind sie unter Schutz gestellt. Uhuschützer setzen sich daher zunehmend dafür ein, daß solche Abbaugebiete nicht zu Abraumhalden werden, was für manche Gemeinde oder für die Eigentümer oftmals ein gutes Geschäft ist. Aber es gibt auch Unternehmer, die Rücksicht auf die Uhus nehmen.

Kurz bevor die Jungen nach einer Brutzeit von rund fünf Wochen, während der das Männchen sein Weibchen mit Futter versorgt, und einer Aufwuchszeit von acht bis zehn Wochen flügge werden, ist ihr Hunger so groß, daß dem Uhupaar die kürzer werdenden Nächte zum Beutefang nicht ausreichen. Dann sind sie gelegentlich auch bei Helligkeit auf der Jagd. Dabei müssen sie sich vor den anderen Vögeln in acht nehmen. Insbesondere bei Krähen und Greifvögeln sind sie nämlich nicht beliebt. Diese verfolgen sie mit Geschrei und stoßen im Sturzflug auf sie herab, sobald sie ihrer ansichtig werden. Dieses "Hassen" haben sich früher Jäger zunutze gemacht, indem sie zahme oder gefangene Uhus auf ein Querholz, die "Jule", banden und sie gut sichtbar aufstellten. Dann setzten sie sich mit der Flinte in Schrotschußentfernung in ein Versteck und warteten, bis die "hassenden" Vögel auftauchten. Es war ein Kinderspiel, die Vögel abzuschießen, die alle Vorsicht fahrenließen. Nicht selten geschah es, daß im Eifer des unwürdigen Gefechts der "Hüttenuhu" (so genannt nach der Hütte, in der der Jäger saß) auch dran glauben mußte. Heute ist derartige Schießlust längst nicht mehr erlaubt.

Die Großeulen, deren Verbreitungsgebiet von Europa über Nordafrika bis nach Ostasien reicht und in deren Gattung Bubo elf weitere nahe Verwandte zusammengefaßt sind, können ein Alter von mindestens 68 Jahren erreichen. Das gilt bisher als das nachgewiesene Höchstalter eines Volieren-Uhus. In der freien Wildbahn haben es beringte Uhus auf gut 30 Lebensjahre gebracht. Manches spricht dafür, daß der eine oder andere älter wird. Mindestens 60 Prozent aller flügge gewordenen Junguhus aber, das ist die Kehrseite, werden nicht einmal ein Jahr alt. Und daran trägt zu einem Großteil der Mensch die Schuld.

Die "Vögel des Jahres"

Seit 1971 stellt der Naturschutzbund Deutschland jährlich einen "Vogel des Jahres" vor. Damit will man auf dessen Bedrohung oder die Zerstörung seines Lebensraums aufmerksam machen.

1971 Wanderfalke 1972 Steinkauz 1973 Eisvogel 1974 Mehlschwalbe 1975 Goldregenpfeifer 1976 Wiedehopf 1977 Schleiereule 1978 Kranich 1979 Rauchschwalbe 1980 Birkhuhn 1981 Schwarzspecht 1982 Großer Brachvogel 1983 Uferschwalbe 1984 Weißstorch 1985 Neuntöter 1986 Saatkrähe 1987 Braunkehlchen 1988 Wendehals 1989 Teichrohrsänger 1990 Pirol 1991 Rebhuhn 1992 Rotkehlchen 1993 Flußregenpfeifer 1994 Weißstorch 1995 Nachtigall 1996 Kiebitz 1997 Buntspecht 1998 Feldlerche 1999 Goldammer 2000 Rotmilan 2001 Haubentaucher 2002 Haussperling 2003 Mauersegler 2004 Zaunkönig

Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.10.2004, Nr. 230 / Seite 7
Bildmaterial: AP


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