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Kreisverband Erfurt

Offener Brief wegen der drohenden Alleeefällung in Molsdorf

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,


Wie Sie sicher aus der Presse erfahren haben, bemühen wir uns derzeit die Abwendung der unserer Ansicht nach zu Unrecht von der Stadt Erfurt betriebenen Fällaktionen in der Allee am Palmberg in Molsdorf.

In dem zum Thema erschienenen Artikel in der Online Ausgabe der TLZ am 27.01. (liegt bei), lässt sich ihr Amtsleiter Wolfgang Schwarz vom Garten- und Friedhofsamt mit den Worten zitieren: "Dieselben Leute, die jetzt wollen, dass die Bäume erhalten werden, würden sofort aufschreien, wenn jemandem etwas passieren würde".

Ton und Tenor dieser Aussage sind unpassend und dem Sachverhalt nicht angemessen. Wir sehen es als nicht sachgerecht an, wenn in der Stadt Erfurt Führungskräfte der Stadtverwaltung in der Öffentlichkeit mit Vermutungen und Verdächtigungen argumentieren, anstatt differenziert den Sachstand zu erläutern und verwehren uns gegen die damit zum Ausdruck gebrachte Einschätzung des Amtsleiters über unser aktives bürgerschaftliches Engagement. Man muss nicht erst zum "Wutbürger" werden, um über diese Äußerung irritiert zu sein. Wir gehen davon aus, dass ein Behördenleiter in der Lage sein muss, beide berechtigten Anforderungen zu vertreten, ohne uns als einen gesetzlich anerkannten Träger öffentlicher Belange lächerlich machen zu müssen.

Der BUND und die engagierten Anwohner haben vor der Einschaltung der Presse die Untere Naturschutzbehörde und das Garten- und Friedhofsamt telefonisch um Auskunft zur geplanten Fällung gebeten und keine befriedigende Antwort erhalten. Als Träger öffentlicher Belange nach dem BNatSchG sind wir jedoch auf ausreichende Auskünfte zum Belang bzw. auch zur Belangabwägung in der Stadt angewiesen, um unserer Aufgabe nachkommen zu können.

Nachdem auch der oben genannte Presseartikel nicht zur Klärung des Sachverhaltes beiträgt, sehen wir uns veranlasst, unsere Nachfrage, die sich darauf bezieht, inwieweit Naturschutzbelange bei der von Ihrem Garten- und Friedhofsamt getroffenen Verwaltungsentscheidung sachgerecht abgewogen wurden, auf diese Weise zu artikulieren:

Die Allee in Molsdorf ist in der Dorfbiotopkartierung der Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie benannt. Diese, der Gemeinde und der Stadt vorliegende Unterlage ist die fachliche Grundlage für die Ansprache naturschutzfachlich wichtiger und ggf. rechtlich zu schützender oder geschützter Bestandteile auf der Fläche einer Gemeinde. Zudem werden Alleen im Thüringer Naturschutzgesetz als besonders schutzwürdige Landschaftselemente genannt, die ggf. durch Rechtsverordnung zu schützen sind. Die bekannten Vorkommen gesetzlich geschützter Tierarten im Bereich der Allee sind behördlicherseits erfasst. Die Baumhöhlen in der Allee sind deutlich zu erkennen und für den Fachkundigen der Landschaftspflege ein offensichtlicher Hinweis auf potenzielle Lebensstätten von geschützten Tierarten. Alle diese Informationen sind dem Garten- und Friedhofsamt der Stadt zugänglich und von diesem im Rahmen der ordnungsgemäßen Amtsführung auch auszuwerten. Wir gehen deshalb davon aus, dass vor der Entscheidung der Garten- und Friedhofsverwaltung zur Baumfällung eine Absprache und eine Benehmenserklärung mit der zuständigen Naturschutzbehörde erfolgte.

Insbesondere nachdem der begründete Verdacht auf das Vorkommen europarechtlich geschützter Arten (Fledermäuse) besteht und Vorgaben des § 44 BNatSchG (Tötungsverbot, Verbot der Zerstörung von Lebensstätten) tangiert werden könnten, ist es nach den gesetzlichen Vorgaben (vgl. Beschlüsse der 93. LANA vom 29.05.2006) für die Verwaltung verpflichtend, ihre Verwaltungsentscheidung auf Übereinstimmung mit den Vorgaben des § 16 FFH-RL zu prüfen und ihr Verwaltungshandeln danach auszurichten. Das Ergebnis dieser "Speziellen artenschutzrechtlichen Prüfung" muss vor der Verwaltungsentscheidung aktenkundig gemacht werden und kann nach den Bestimmungen des Umweltinformationsgesetz (§ 3 UIG) von Jedermann eingesehen werden.

Weder das Garten- und Friedhofsamt noch die Untere Naturschutzbehörde konnte uns bislang dieses Prüfungsergebnis mit der dazugehörigen Abwägung vorlegen. Wir hegen deshalb Zweifel, ob die Fällentscheidung unter Beachtung aller notwendigen Erwägensgründe getroffen wurde.

Unabhängig von dem Vorliegen der SaP könnten wir uns drei Ergebnisvarianten der Prüfung vorstellen, die in allen Fällen nicht mit der jetzt beobachteten Verhaltensweise ihres Amtes in Einklang zu bringen sind. Folgende Prüfungsergebnisse wären denkbar:

1) Lebensstätten von geschützten Tierarten sind nicht betroffen, die Verkehrssicherungsmaßnahme muss und kann durchgeführt werden. Dann muss die Feststellung der Nichtbetroffenheit von Lebensstätten in einer aktuellen fachgutachterlichen Aussage dokumentiert sein und darf uns nicht vorenthalten werden.

2) Es ist unklar, ob Lebensstätten der geschützten Tierarten betroffen sind, aber die Verkehrssicherungspflicht macht ein schnelles Handeln notwendig. Dann darf bis zum Vorliegen der Klarheit über seine Rechtmäßigkeit das Verwaltungshandeln nicht dazu führen, dass ein Einhalten der europäischen Artenschutzbestimmungen nicht mehr möglich ist. Beispielsweise könnte der gefährdete Bereich abgesperrt oder die vom Umfallen bedrohten Bäume gesichert werden, bis die Klarheit hergestellt ist.

3) Lebensstätten von geschützten Arten sind betroffen und Verkehrssicherungsmaßnahmen sind notwendig. In diesem Fall muss das Garten- und Friedhofsamt sein Verwaltungshandeln über das Einholen einer artenschutzrechtlichen Befreiung (§ 67 BNatSchG) legalisieren. Diese Befreiung würde unter Beachtung der Vorgaben des Art. 16 FFH (Minimierungsgebot, Alternativlosigkeit, usw.) und ggf. unter Erteilung von Auflagen auch erteilt werden, denn die Verkehrssicherheit gehört unzweifelhaft zu Belangen des überwiegenden öffentlichen Interesses. Auch diese Befreiung muss uns verfügbar sein (vgl. § 45 THürNatG).

4) Lebensstätten von geschützten Arten sind betroffen, Verkehrssicherungsmaßnahmen sind notwendig. Diese können aber so durchgeführt werden, dass die Lebensstätte im funktionalen Zusammenhang erhalten bleibt. Neben den zwingend zu beachtenden Vermeidungs- und Minderungsmaßnahmen im engeren Sinn, die am Vorhaben ansetzen und die Entstehung von Beeinträchtigungen verhindern, gelingt dies durch Funktionserhaltende und konfliktmindernde Maßnahmen, die im Vorfeld der Beeinträchtigung wirksam werden (CEF-Maßnahmen).

Diese ist die Optimalvariante und wird vom Gesetzgeber favorisiert. Das Verfahrenselement der Speziellen artenschutzrechtlichen Prüfung soll dazu beitragen, diesen Zustand möglichst häufig und schnell herbeizuführen.


Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, der BUND Stadtverband Erfurt, als anerkannter Naturschutzverband und Träger öffentlicher Belange, sieht sich in der Verantwortung, die "Lösung Nr. 4" möglichst häufig und schnell herbeizuführen und bietet dazu seine fachliche Unterstützung an.

Dazu ist es jedoch zwingend erforderlich, dass sich die Verwaltung sowohl an die "gesetzlichen Spielregeln" als auch an die Umgangsformen einer modernen Dienstleistungseinrichtung hält. Das Verhalten des Garten- und Friedhofsamtes hinterlässt nicht den Eindruck, als wären diese Spielregeln geläufig. Auch stimmt es bedenklich, dass die Amtsführung es nicht für notwendig erachtet, bei ihren öffentlichen Äußerungen ein differenziertes und damit sachgerechtes Bild zu vermitteln, wieso ein Naturschutzverband auf die Idee kommen könnte, gegen diese scheinbare "Hauruck-Fällaktion" Bedenken zu äußern. Die oben aufgeführten rechtlichen Bedenken sind sicher schwer im Rahmen eines Presseinterviews zu vermitteln, aber der herablassend wirkende Hinweis des Amtsleiters im Presseartikel, "man würde schon Auskunft geben, wenn sich Anwohner an das Amt wenden würden…“, zeugt von einem Amtsverständnis, welches schon lange nicht mehr zeitgemäß ist.

Wir bitten Sie deshalb, zu prüfen:

* inwieweit das Garten- und Friedhofsamtes bei der Entscheidung die Allee fällen zu lassen ihr pflichtgemäßes Ermessen ausgeübt hat,

* ob gegebenenfalls die Benehmensherstellung innerhalb der Stadtverwaltung zwischen Garten- und Friedhofsamt und Unterer Naturschutzbehörde verbessert werden muss,

* wie sich das Kommunikationsverhalten der Behörden ändern muss, damit solche Vorkommnisse vermieden werden können.


Zuletzt möchten wir noch auf einen Belang verweisen, der nicht von uns zu vertreten ist, aber uns dennoch überlegenswert erscheint: Alte Bäume sind Ausdruck eines Jahrhunderte dauernen Wachsens. Bäume sind Lebewesen und Lebensraum zugleich. Außerdem bieten sie in unserer schnelllebigen Zeit den Menschen in der Stadt oft die letzte intensive Möglichkeit Natur zu erleben und sich mit ihr zu identifizieren. Die Allee in Molsdorf ist historisch belegt und ortsbildprägend. Die Bürger der Gemeinde haben sie seit Jahrhunderten erhalten. Sogar auf der Homepage der Gemeinde steht sie auf der Titelseite. Und wenige Jahre nach der Eingemeindung von Molsdorf in eine Stadt, die ihren Stolz über ihre lange Gartenbautradition immer wieder zum Ausdruck bringt, sieht sich die ansässige Gartenbauverwaltung nicht mehr in der Lage regelmäßig in der Randgemeinde die Bäume in auf der Grundlage von Recht und Gesetz in Ordnung zu halten. Geben Sie den alten Bäumen in Erfurt eine Chance – sie sind nicht nur für die Menschen von unschätzbarem Wert.

In diesem Sinne und mit freundlichen Grüßen

Der Vorstand des BUND Stadtverband Erfurt

Im Auftrag

Inken Karst
Stellvertretende Vorsitzende


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